
2 Leseproben aus: Die Sache mit dem Tod
Abschnitte und Eindrücke aus dem 1. Kapitel:
.... In kleinen Tranchen über den Tod nachzudenken, ist besser verkraftbar, als zuzuwarten, bis die Stunde da ist; wenn das Tor für einen selbst aufgeht oder wenn geliebte Menschen auf die Reise ins Vertrauen gehen.
Jesus hat Tabubrüche getan: er heilte Menschen am Sabbat, weil sie sofort Hilfe brauchten. Sie waren für ihn wichtiger als die - von Menschen gemachte - Regel. Die religiösen Obrigkeiten sahen darin ein Verbrechen gegen Gott, das geahndet werden musste. So wie Jesus die Händler aus dem Tempel warf (Matthäus 21.12 und Johannes 2.13-16), stellte sich Luther gegen den Ablasshandel. Religion und Geld oder Religion und Macht können starke Tabus sein. Ein solches Tabu darf nicht infrage gestellt werden. Es ist geradezu verboten, darüber nachzudenken.
Wir sind auch heute von Tabus umgeben. Wenn mich eines einengt, tröstet mich Goethes Gedicht: »Die Gedanken sind frei, kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.« Das tut so gut. Auch moderne Zeiten sind geprägt von Tabus. Kinderlosigkeit, Tod, Verdienst, häusliche Gewalt, Analphabetismus und viele mehr. Betroffenen ginge es besser, wenn sie bei einem Outing selbstverständliche Offenheit statt tradierter Abstempelung erfahren könnten.
Wenn Menschen vor Situationen stehen, für die sie keine überzeugenden Erklärungen finden, brauchen sie Überlebensstrategien. Ein Tabu kann dies über eine gewisse Zeit erfüllen. Dazu gehört die Angst vor Menschen mit mentalen Krankheiten, also Menschen, die in einer Psychiatrie sind oder waren. Der Umgang mit Menschen, die psychiatrische Hilfe benötigen oder bekommen hatten, wird als bedrohlich empfunden. Es ist einfacher, diese kurzerhand zu stigmatisieren, als anders und negativ einzustufen und zu kennzeichnen. Dieses Tabu ist aus einem Gefühl und einer eingebildeten Bedrohung entstanden. In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Einstellung zu ändern begonnen. Das Tabu ist geblieben: Wer in der Psychiatrie war, läuft heute noch Gefahr, die Stelle zu verlieren; auch wenn die Ursache Mobbing war. Gerade hier zeigen sich die verzwickten Verkettungen in einem Tabu. Eine ganze Gesellschaft entwickelte Ängste, weil sie nicht wusste, wie sie mit diesen Menschen umgehen sollte. Dieses unter den Tisch kehren von geistigen Krankheiten, legt offen, dass ein Tabu auch eine Krücke ist. Einerseits soll sie stützen und auf der anderen Seite bedroht sie erkrankte Menschen zusätzlich. Daran wird seit fünfzig Jahren intensiv gearbeitet, doch im Hinterkopf lebt das Tabu munter weiter. Wenn jemand sagt: »Ich hatte ein Burnout und war in der Klinik«, flitzen im ersten Moment selten mitfühlende Gedanken durch den Kopf. Erst danach werden diese realistischer eingestellt. ...
Die magische Anziehungskraft von Tabus
Ein Tabu ist meist geheimnisvoll, denn es darf nicht ausgesprochen und schon gar nicht diskutiert werden. »Darüber darfst du nicht einmal nachdenken!« – das lernen wir schon als Kinder und tragen dieses »Wissen« in unser Erwachsenenleben. Genährt und bereichert mit den Wundern der Märchen haben wir eine faszinierende Kombination von Anziehung und Ablehnung gelernt.
Nehmen wir einmal an, dass alle Menschen Mitspielende eines Welttheaters sind. Die Erde wäre eine Bühne, Bühnenstücke wären Erzählungen aus der Menschheitsgeschichte und jedes Leben wäre die Realisierung eines Traumes. Das Theater lebt von Fantasie, Vorstellung und Traum. Wenn Worte zu deutlich sind, wird die Botschaft mit Tabus angedeutet. Diese dienen dem Verstehen - wenn auch einem diffusen -, sind Auslöser von Gelächter oder kreieren ohne Anschuldigung ein Gefühl von Betroffensein. Dann sind die Zuschauenden froh, in einer anderen und nicht in der theatralischen Wirklichkeit leben zu können. Wäre die Theateraufführung unsere Wirklichkeit, lebten wir gefangen in einer nichtrealen Welt, ohne die Möglichkeit auf eine reale Sicht von außen. Zum Glück sind wir außerhalb, können von außen zuschauen, interessiert beobachten und alles kommentieren. Manchmal sind Bühnenaufführungen praktische Türöffner, um Tabus offenzulegen und Auseinandersetzungen damit zu ermöglichen.
Die Menschen sind von Natur aus neugierige Wesen. Sie möchten wissen, was dahintersteckt, was die Welt im Innersten zusammenhält oder was Kulissen vielleicht verbergen könnten. Tabus verbunden mit einem verbotenen Nachdenken wecken die Forschungslust. Mitglieder von demokratischen Gesellschaften sind gewohnt, nachzudenken und zu hinterfragen. Abstimmungen und Wahlen dienen dem Training, sich auch mit dem Ungewöhnlichen, dem Herausfordernden und Neuland auseinanderzusetzen. Das ist nötig, um klar zu entscheiden. Jedes Volk, dessen Angehörige die demokratischen Werkzeuge in Freiheit gelernt haben, kann auf diese Weise einen großen Teil zum Weltfrieden beitragen. Das wäre mein Traum. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass auch die heutigen Demokratien erst auf einem Weg dorthin sind.
Tabus kommen in allen Kulturen und Religionen vor. Sie sind immer mit Macht und Machterhalt verbunden. Ein Tabubruch hat folglich einen Machtverlust von jemandem, von Obrigkeiten oder einer Gruppe zur Folge. Das löst auf jeden Fall eine Reaktion aus. Ein drohender Machtverlust verlangt sofortigen Machtschutz. Von solchen Vorgängen lebt ein erfolgreiches Bühnenstück.
Wer den Mut hat, sich öffentlich mit einem Tabu auseinanderzusetzen, braucht belastbare Schultern, um eventuelle Verleumdungen und falsche Verdächtigungen zu ertragen. Religionen und Gesellschaften sind starre Gebilde, die fast nicht zu bewegen sind. Veränderungen oder gar Erneuerungen brauchen unendlich viel Zeit und lassen sich nur mit Hartnäckigkeit erreichen. Diese Gruppierungen führen dann vordergründig Tabus ins Feld und hoffen, dass diese lange verteidigt werden.
Im Theater können wir zusehen. Beim Welttheater sind wir beteiligt und mittendrin. Das Theater ist eine Traumwelt, die aus der menschlichen Wirklichkeit gewachsen ist. Vielleicht ist der Prozess auch umkehrbar. Die theatralische Traumwelt bietet einen Lernprozess, der in die Wirklichkeit auf der Straße übertragen werden kann. Der Traum vom erfüllten Leben kann Wirklichkeit werden. Und jeder Mensch hat das verdient. Aber: nicht jeder oder jede will das auch.
Das Leben und die Welt sind voller Widersprüche. Die Kirchen sind dabei Expert. Sogar religionseigene Tabus können widersprüchlich sein. Einerseits ist ein Kind ein Geschenk Gottes. Andererseits kommt ein ungetauftes Kind ins Fegefeuer. Das bedeutet logischerweise: Gott wirft sein eigenes Geschenk in den Mülleimer. So einen Blödsinn können nur Menschen erfinden! Ich hoffe sehr, dass Gott darüber gütig den Kopf schüttelt. ...
Abschnitte und Eindrücke aus dem 2. Kapitel:
Was ist der Gewinn für diese Neugier?
Am liebsten möchten wir das Thema Tod ins Pfefferland verbannen. Tatsache ist: Wir können dem Tod nicht ausweichen. Selbstverständlich können wir die Augen schließen, Abwarten und Tee trinken. Wir können uns aber auch neugierig diesem unerklärlichen Phänomen stellen, es wie ein Drachentöter herausfordern. »Wer wagt, gewinnt«, sagt ein Sprichwort. Was können wir gewinnen? Wie hoch könnte der Verlust sein? Um das herauszufinden, nehmen wir jetzt allen Mut zusammen und setzen uns mit dem Tod auseinander. Ich bin sicher: Mut tut gut, denn wir können nur gewinnen.
Zeit zu klären
Was ist der Tod? Seit ihrem Ursprung geht die Menschheit dieser Frage nach. Religionen versuchen mit »glaubhaften« Erklärungen und Vorstellungen die Menschen zu überzeugen. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für spirituelle Wesen und auch keine für das Nichts. In einer individuellen Gesellschaft, in der Demokratie und persönliche Denkfreiheit zur Norm gehört, dürfen die Menschen eigene Nachforschungen anstellen. Der Tod ist faszinierend, packend und zieht magisch an. Denn die Frage nach dem Jenseits berührt auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Leben und Tod gehören zusammen. Sie stehen in einem steten Wechsel, überholen sich nie und sind einem sich entwickelnden Wandel unterworfen. Diese Sichtweise ermöglicht ein freieres Nachdenken über den Tod.
Wenn es so ist, dass das Unterbewusstsein nichts vergisst und wir mehrere Leben für unsere Vollendung brauchen, dann kann sich unser inneres Wissen entwickeln. Mensch und Menschheit streben vielleicht einem großartigen Ziel zu, welches nur über den Tod erreichbar ist.
Das Diesseits ist handfest und erforschbar. Das Jenseits nicht fassbar und verbunden mit irrationalen bis magischen Vorstellungen. Ist das Jenseits der Himmel oder das Universum? Im Todesfall sind solche Fragen nicht hilfreich. Wir haben ein ganzes Leben lang Zeit, um uns immer wieder mit Gedanken zum Jenseits zu beschäftigen. Ist das Paradies hier oder dort? Gehen wir ins Licht oder sind wir doch nur ein Teil der Erde? Haben wir einen Ort des Vertrauens, eine Geborgenheit bei spirituellen Wesen, oder sind wir einem universellen Geschehen ausgeliefert? Ist unsere Existenz ein Produkt aus der Natur oder eine Zusammensetzung von geistiger Materie und physischer Sterblichkeit?
Was wir wirklich wissen, braucht wenig Raum: Wir wissen erstens, dass der Tod nach dem Leben kommt und zweitens, dass tote Menschen und Tiere nicht mehr atmen. Auch deren Ausstrahlung ist weg; welche wir mit unseren feinsten Antennen wahrnehmen können. Das ganze Konzept Mensch stellt sich sofort darauf ein. Worauf eigentlich? Das Herz reagiert und die Gedanken stürmen kreuz und quer durcheinander. Unbekanntes und Unfassbares bedroht uns. Das macht Angst. Diese ungewisse Bedrohung lähmt. Das Ausgeliefertsein blockiert und schockiert. Wie ein Fisch schlüpft das Ungewisse durch die Hände. ...